Wenn selbst Aspirin zur Mangelware wird
Wie es ist, wenn das Apotheken-Netz immer weiter ausdünnt, weiß Bianca Winkelmann nur zu gut. Als in ihrem Heimatort Preußisch Ströhen die Apotheke schloss, da hat die Landtagsabgeordnete selbst zum Telefon gegriffen, alle Apotheker im Umkreis angerufen und zu überzeugen versucht, den Betrieb zu übernehmen.
Und Preußisch Ströhen ist kein Einzelfall: In den vergangenen zehn Jahren haben annähernd 16 Prozent aller Apotheken im gesamten Kreis Minden-Lübbecke den Betrieb aufgegeben. Die verbliebenen reduzieren teils ihre Öffnungszeiten und machen am Samstagvormittag gar nicht mehr auf.
„Wir feiern jede vorrätige Packung“
Woran es liegt, dass die Apotheker aufgeben –das wollte die CDU-Politikerin nun herausfinden und hat vor Ort in der Mindener Kuhlenkamp-Apotheke nachgefragt. „Apotheke ist so viel komplizierter als mal eben Aspirin verkaufen“, erklärt Manuela Schier. Schon allein deshalb, weil es derzeit gar nicht genügend Aspirin zu verkaufen gibt. Das alltägliche Schmerzmittel ist nämlich eines von zig Präparaten, die von Lieferengpässen betroffen sind. Für die Apothekenteams bedeute dies einen enormen Mehraufwand, damit sie ihre Patienten irgendwie versorgen können, erklärt Manuelas Schier und schildert, welche Handstände ihr Team vollführt: von der Abfrage beim Großhandel, über „Bettelanfragen“ bei den Herstellern, der Suche nach Alternativpräparaten bis hin zu den Bemühungen, die ebenfalls stark ausgelasteten Ärzte zu kontaktieren und Lösungen abzustimmen. „Wir feiern mittler-weile jede Packung, die wir vorrätig haben oder problemlos bestellen können“, sagt sie.
Seit Jahren bereits warnten die Apotheker davor, dass sich das Problem zunehmend verschärfe. Nun habe der Bundesgesetzgeber zwar endlich reagiert und im Juni ein Engpass-Gesetz verabschiedet. „Das Gesetz wird das Problem der Engpässe jedoch nicht nachhaltig lösen. Zugleich aber beschneidet es die Möglichkeiten, Engpässe zu managen, denn es räumt den Apotheken nicht all die Freiheiten ein, die sie benötigen, um ihre Patienten versorgen zu können“, kritisiert Manuela Schier. „Gegenüber den Handlungsmöglichkeiten, die wir während der Corona-Pandemie hatten, ist dieses Gesetz ein Rückschritt. Unter anderem können wir zum Beispiel nicht mehr ohne weiteres auf andere Darreichungsformen ausweichen, also zum Beispiel Zäpfchen statt Säfte ausgeben“, so Schier.
Vor allem aber kritisiert sie, dass die Politik bislang nichts dafür getan habe, das Apotheken-Netz durch eine auskömmliche Honorierung zukunftsfest aufzustellen. Wie wichtig dieses Netz sei, hätten nicht zuletzt die Corona- und die Engpass-Krise bewiesen. In den vergangenen 20 Jahren sei die reglementierte Vergütung der Apotheken nur ein einziges Mal um wenige Cent erhöht und in diesem Jahr sogar noch gekürzt worden, rechnet sie der gelernten Einzelhandelskauffrau Winkelmann vor. Bei steigenden Personal- und Sachkosten, explodierenden Energiepreisen und einer immensen Inflation sei die Vergütung real deutlich abgeschmolzen. Es gebe Studien, dass die Apotheken mittlerweile pro verschreibungspflichtiger Arzneimittelpackung, die ein gesetzlich versicherter Patient erhalte, 27 Cent drauflegen müsse, so Schier.
Faire Honorare für faire Löhne
„Wir brauchen eine Honorarerhöhung auch deshalb dringend, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angemessen bezahlen zu können“, argumentiert Schier. Denn die Apotheken vor Ort seien durch einen massiven Fachkräftemangel betroffen. Zum einen, weil zu wenig pharmazeutisches Personal an Universitäten und Fachschulen ausgebildet würde, zum anderen, weil viele gut ausgebildete Kräfte abwanderten, da unter anderem die Industrie attraktivere Gehälter zahlen könne. „Ohne diese Fachkräfte wiederum können wir die neuen Dienstleistungen nicht anbieten, die uns die Politik aufgetragen hat und mit denen wir einen wichtigen Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit der die Patienten leisten können: Blutdruckmessungen zum Beispiel, aber auch Inhalations- und Medikationsberatungen.“
Fachkräftemangel, zunehmende Arbeitsbelastungen durch Lieferengpässe und Bürokratie einerseits, eine schwierige Einnahmesituation andererseits –am Ende ihres Besuches hat Bianca Winkelmann viele Antworten auf ihre Frage, warum so manche Apotheke vor Ort schließen muss, „obgleich wir alle doch unseren Beruf lieben“, so Schier. „Anders als der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kann ich die aktuelle Protestwelle der Apotheken gut verstehen“, sagt Bianca Winkelmann. „Wir nutzen möglichst jeden Spielraum, den wir landesseitig haben. So hat unser Landesminister Karl-Josef Laumann beispielsweise dafür gesorgt, dass bestimmte Medikamente aus dem Ausland kurzfristig zugelassen werden und sich für einen Abbau der Bürokratie in den Apotheken eingesetzt. Jede bürokratische Hürde kostet Arbeitszeit und damit auch Geld.“